Rezension: Das Tausendjährige Reich — frühkirchliche Kontroversen von Dr. Martin Erdmann (Johann Schoor)

(Quelle: Johann Schoor www.puregospel.eu)


Das Tausendjährige Reich — frühkirchliche Kontroversen

ist der Titel des heuer erschienenen Buches von Dr. Martin Erdmann, übersetzt aus dem englischen, in welcher Sprache es bereits seit 2005 auf dem Markt ist. Ich habe das Buch gelesen und war beeindruckt. Martin Erdmann ist es darin gelungen, den Nachweis zu erbringen, dass es in der ersten zwei Jahrhunderten im Christentum einen fast geschlossen einheitlichen Millenniumsglauben gab und dass dieser sich erst allmählich, aber dann ziemlich vollständig aufzulösen begann.

Schuld an diesem Prozess war die zunehmende Beeinflussung der christlichen Theologie durch griechisch philosophische Strömungen, wie die des Neuplatonismus einerseits und einer zunehmenden allegorisierenden Schriftauslegung andererseits. Origenes zum Beispiel betrachtete die wörtliche Bedeutung eines Bibeltextes (den Literalsinn) als minderwertig. Er verglich Exegeten, die an einer wörtlichen oder »physischen« Interpretation festhalten mit Kindern und bestand auf eine symbolische Bedeutung, die alleine erleuchtete Christen erfassen können. Es war ganz natürlich, dass dann diese Veränderungen ihre größten Auswirkungen auf den eschatologischen Bereich der Theologie zeitigte. Prophetische Texte die apokalyptisch und schwer verständlich waren, wurden besonders gerne allegorisch gedeutet und kaum noch wörtlich genommen.

Dadurch verlor die christliche Theologie ihren Bezug zur jüdischen Eschatologie, an die sie sich immer angelehnt hatte, um zu einem geschlossenen Verständnis zu kommen. Das sah konkret so aus, dass man die Wiederkunft Christi als Beginn einer tausendjährigen Epoche betrachtete, dem Millennium, in dem paradiesische Zustände herrschen würden und in dem dieses irdische Jerusalem Zentrum des messianischen Friedensreiches sein würde, ehe denn die Welt tatsächlich untergeht und das neue Jerusalem vom Himmel herab kommt. So lehrt es augenscheinlich die Offenbarung des Johannes, jedenfalls im Literalsinn.

Die neue Art der Schriftauslegung des prophetischen Wortes führte statt dessen zu einer eher synthetischen Eschatologie, die am Höhepunkt ihrer Entwicklung durch Augustinus ihre vollendete Ausformung fand. Dieser wähnte sich im vierten/fünften Jahrhundert lebend etwa in der Hälfte des Millenniums angekommen. Die Zahl 1000 aus Off. 20 wurde von ihm noch wörtlich genommen, aber sie sollte jene Zeit der Gemeinde umfassen, die diese auf Erden ohne die sichtbare Präsenz des Christus ausharren musste, kämpfend zwar, aber immerfort siegend, bis die Welt vom Reich Gottes durchdrungen wäre. Satans Bindung wurde allegorisch uminterpretiert indem diesem keine Macht mehr zugestanden wird, bis zur letzten Zeit kurz vor der Wiederkunft Christi, wo er dann von den heilige Heerscharen endgültig besiegt werden sollte.

Was nun ist aber so schlimm an dieser Sichtweise? In der modernen Zeit finden wir ebenso beide Meinungen nebeneinander im Prä-, bzw. Postmillennialismus und etwas abgemildert im Amillennialismus. Gerade in unserer Pluralistischen Zeit, meint man doch, diese Bandbreite aushalten zu können. Doch mir scheint so, dass dies ein verhängnisvoller Irrtum ist. Martin Erdmann hat nur kurz in seinem Buch auf eine Auswirkung dieser Entwicklung Bezug genommen, die meiner Meinung nach viel mehr beachtet werden sollte. Er schreibt (S183):

Augustinus trug in seinem Werk »De Civitate Dei« mehr als alle anderen Kirchenväter dazu bei, die römische Kirche als das christliche Zion zu idealisieren. Das System, das sich auf dieser Basis entfalten sollte, konnte er indes nicht vorhersehen. Nichtsdestotrotz war er es, der sie Substanz schuf, auf der später die mittelalterliche Theorie und das kirchliche Regelwerk der religiös-politischen Staatskirche entstand.

Nein, tatsächlich hätte er es nicht vorhersehen können, er hätte wohl kaum an seiner neuen Eschatologie festgehalten, sondern selbst vor ihr gewarnt. Nicht nur brachten uns die tausend Jahre an ihren Ende Christus nicht wieder, auch die sich in Rom entwickelnde politische Institution mit all ihren Fehlentwicklungen, dürfte er kaum gutgeheißen haben. Sein Argument von der Bindung Satans in dieser Zeit ist aus heutiger Sicht gesehen ziemlich absurd.

Aber vergessen ist, dass diese Theologie Rom die moralische Rechtfertigung für ihre Entwicklung gegeben hat und dass es deshalb auch heute nicht egal ist, welche Eschatologie man verficht. Denn auch der moderne Postmillennialismus wird zwangsweise nichts anderes hervorbringen als das wovor Dr. Martin Erdmann in seinem erst später erschienenen Werk »Der Griff zur Macht«, gewarnt hat, dem Dominionismus, dem Bestreben, in Welt und Gesellschaft eine dominante Rolle zu spielen. Sind wir nicht wie Christus? Hat er uns nicht wie Schafe unter die Wölfe gesendet? Aber aus den Schafen sind vielfach Wölfe geworden. Am Beginn des Mittelalters ermöglichte dies eine Hinwendung zu einer fragwürdigen Eschatologie, die sich über die tatsächliche Bedeutung des prophetischen Wortes hinwegsetzte. Wie können wir meinen, wir würden uns den gleichen Fehler heute ohne derartige Folgen leisten können? Das sollte wirklich ernsthaft untersucht werden. Martin Erdmanns Bücher regen dazu an und das finde ich gut so in unserer sehr unkritisch gewordenen Zeit, in der man auch als Christ so leicht aus Bequemlichkeit einem modernen Relativismus zugeneigt ist, vielleicht nicht im moralischen Sinn, aber im Theologischen. Dabei verlieren wir mit einem immer auch ein Stück des anderen, das sollte uns bewusst sein.

Johann Schoor www.puregospel.eu